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Modell Schweden?
21/11/2002
My reflections - in German - on the economic reforms and non-reforms of Sweden primarily during the 1990's. Prepared for delivery in Berlin to the German Bank Association. Actual delivery was by Mr Per Westerberg MP. |
Von der Krisenbewältigung zur Reformpolitik
Umbau oder Neubau des schwedischen Wohlfahrtsstaates?
Carl Bildt, Ministerpräsident a. D.
Berlin, November 21, 2002
Meine verehrten Damen und Herren,
lange Zeit hat man in vielen Ländern – und auch in Schweden selbst – von einem „Modell Schweden“ gesprochen. Ein funktionierender Wohlfahrtsstaat, der soziale Sicherheit mit einer prosperierenden Wirtschaft verband.
Und lange Zeit war dies auch so.
Zur Vorgeschichte: Schweden war noch Mitte des 19. Jahrhunderts eine der ärmsten Nationen Europas. Aber dann, in der Zeit zwischen 1870 bis 1970, erreichte das Land - zusammen mit Japan - die höchsten Wohlstandszuwächse weltweit. In der Folge entwickelte sich Schweden zu einem der reichsten Länder der Erde. Es war eine wahre Erfolgsgeschichte.
Schwedens Aufstieg zur Wohlstandsgesellschaft vollzog sich vor allem in den ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg. Während in den meisten anderen Ländern Europas die industrielle Kapazität und die gesellschaftliche Infrastruktur vom Krieg zerstört worden war, konnte Schweden in diesen Jahren seine industrielle Basis ausbauen, gleichzeitig vom Wiederaufbau und der wirtschaftlichen Reintegration des westlichen Teils Europas profitieren.
Der wirtschaftliche Aufschwung in dieser Zeit machte es den jeweiligen Regierungen möglich, einen Beschluss nach dem anderen zu fassen, der zu einem Ausbau vielfältiger sozialstaatlicher Leistungen führte. Es waren die „goldenen“ Jahrzehnte des schwedischen „Modells“.
Seit Anfang der 70er Jahre änderte sich jedoch vieles. Besonders eindringlich kann man dies an der dramatischen Entwicklung der Schwedischen Krone nachvollziehen, die seit Mitte der 70er Jahre im Verhältnis zu den meisten anderen europäischen Währungen rund 90 Prozent ihres Wertes verloren hat.
Natürlich haben wir in Schweden während dieser Jahrzehnte über die Ursachen der Probleme und die notwendigen politischen Schritte zur Verbesserung der Lage sehr lebhafte politische Diskussionen geführt. Wahlkampf auf Wahlkampf war mehr oder weniger von der Frage nach der Zukunft des Wohlfahrtsstaates dominiert.
Schon Anfang der 80er Jahren hatten die bürgerlichen Parteien – den Kern bildete eine informelle Allianz zwischen der Moderaten und der Liberalen Partei – ein überzeugendes Reformkonzept für unsere Wirtschaft entwickelt. Dann kamen 1982 die Sozialdemokraten erneut an die Regierung, und haben mit einer großen Abwertung der Krone die Politik des so genannten „Dritten Weges“ eingeleitet. Vorschläge zu einer grundlegenden Reform der Wirtschaft – mit Blick auf Steuersystem, Subventionen oder staatliche Monopole – wurden lange Zeit abgelehnt.
Natürlich lassen sich für die schwere Krise der schwedischen Wirtschaft Anfang der 90er Jahre eine Reihe von Ursachen nennen. Der „Dritte Weg“ war gescheitert, was auch vom damaligen Finanzminister, Kjell-Olof Feldt, bestätigt wurde.
Hinzu kamen aber auch die – im Verhältnis zu anderen Ländern – langfristig geringeren Wachstumsraten, ein erheblich stärkerer Kostenanstieg als zum Beispiel in der Bundesrepublik, und eine nur schwache Zunahme der Produktivität. Kurzfristig kam dazu eine am Anfang noch begrenzte, später dann aber dramatische Krise in Teilen des Finanzsektors – eine Folge der Politik der späten 80er Jahre.
Schließlich sollten wir auch nicht die erheblichen Spannungen und wirtschaftlichen Probleme vergessen, die 1992/1993 den gesamten Europäischen Wirtschaftsraum erfassten. Wir waren während dieser Zeit alle von den Turbulenzen auf den Devisenmärkten betroffen. Im schwedischen Fall führte das in einem Zeitraum von fast genau zehn Jahren zu einer unfreiwillige Abwertung der Schwedischen Krone, als wir die Parität unserer Währung zum damaligen Ecu nicht aufrecht erhalten konnten.
Auch schon vor dem Regierungswechsel im Oktober 1991 hatte man mit gewissen Reformmaßnahmen in Schweden begonnen. Eine große Steuerreform hatte das Ziel, den Einkommenssteuersatz auf 50 Prozent zu begrenzen. Das war im Vergleich zu vorher zwar ein Fortschritt, aber die Reform wurde durch eine Umverteilung der Steuerlast finanziert, womit es zu neuen Problemen in anderen Bereichen der Wirtschaft kam.
Vom Herbst 1991 an begannen wir mit dem Versuch einer weit reichenden Reform der Wirtschaftspolitik. Wir sprachen bewusst nicht von einem „Dritten Weg“, sondernd ich sprach von einem „Europäischen Weg“ und oft auch vom einzigen Weg, der in der neuen Situation eigentlich möglich war. Unser Ziel war eine glaubwürdige neue Wettbewerbsfähigkeit der schwedischen Wirtschaft.
Ein wichtiger Teil unserer Maßnahmen war ein rigoroser Abbau von verschiedenen Regulierungen und Monopolen. Im Telekom-Sektor führten wir – und Finnland folgte uns dabei nach wenigen Monaten – die radikalste Liberalisierung durch, die es damals in Europa gegeben hat. Dadurch schafften wir in den nächsten Jahren in diesem Zukunftsbereich einen der dynamischsten Märkte der Welt.
Auch für die Gemeinden und Länder schafften wir größere Freiheitsräume. Wir begannen damit, in den Bereichen Schule, Kinderfürsorge und Gesundheitswesen die Vielfalt von verschiedenen Leistungsanbietern zu fördern und dabei eine gemeinsame Finanzierung anzustreben. Mehr Wettbewerb im privaten wie im öffentlichen Sektor zu schaffen, war von strategischer Bedeutung.
Wichtig war natürlich auch eine Verbesserung der Bedingungen für die Wirtschaft –vor allem für den Mittelstand. Die Steuersenkungen waren zwar nur moderat, aber dennoch wichtig. Hinzu kamen verschiedene Maßnahmen zur Entbürokratisierung im Verhältnis zwischen Staat und Wirtschaft. Sehr schwierig, aber besonders wichtig waren die Maßnahmen zur Liberalisierung des Arbeitsrechts, zur neuen Regelung des Arbeitsmarktes. Das haben wir aber später angepackt, als eigentlich nötig gewesen wäre.
Infolge dieser Maßnahmen kam es – trotz der nach wie vor schwierigen wirtschaftlichen Lage – zu einem neuen Optimismus in den weiten Teilen des schwedischen Mittelstandes.
Natürlich waren alle diese Maßnahmen nicht unumstritten. Es gab im schwedischen Reichstag Kampfabstimmungen zu jedem dieser Punkte. Die Opposition, vor allem der Gewerkschaften, war stark. Schließlich befanden wir uns in einer Zeit steigender Arbeitslosigkeit, was die Aufgabe nicht einfacher machte. Aber trotzdem gab es in der Bevölkerung grundsätzlich Verständnis für unsere Politik.
Der schnelle Anstieg der Arbeitslosigkeit und der kräftige Rückgang der gesamten Wirtschaft zwischen Ende 1990 und Anfang 1993 führte zu einer raschen Erhöhung des Haushaltsdefizits. Die Aufgabe, die öffentlichen Ausgaben durch Sparmaßnahmen zu begrenzen, wurde damit dringlicher als je zuvor.
Auch in dieser Frage gab es unterschiedliche politische Meinungen. Anfangs gab es auch eine Diskussion über die Frage, ob eine Begrenzung des Haushaltsdefizits überhaupt sinnvoll und notwendig sei. Als es darüber Konsens gab, blieb nur die Alternative, die Staatsausgaben zu begrenzen oder die Steuern zu erhöhen.
Unsere Politik damals war eine Politik der Sparmaßnahmen. Dabei versuchten wir oft, Maßnahmen strategisch so anzulegen, dass ihr Effekt Jahr für Jahr größer wurde. Ein konkretes Beispiel dafür ist das stufenweise Zurückfahren der damals sehr hohen Mietsubventionen, eine der damals am stärksten wachsenden Posten des Staatshaushaltes.
Die Beschlüsse von Anfang der 90er Jahren führten letztlich zur vollständigen Abschaffung dieser Subventionen am Ende der 90er Jahren – das war die größte einzelne Sparmaßnahme über die langen Periode hinweg.
Auf Seiten der Sozialdemokraten fasste man natürlich vor allem verschiedene Steuererhöhungen ins Auge. Und als die Sozialdemokraten Ende 1994 die Regierungsmacht zurückeroberten, wurden viele der Sparmaßnahmen, die wir beschlossen hatten, durch Steuererhöhungen ersetzt. Die sozialdemokratische Regierung setzte die Politik der finanziellen Konsolidierung zwar fort, aber mit Mitteln, die meiner Meinung nach zu einer Begrenzung des langfristigen Wirtschaftswachstums führte.
Unsere Ziel Anfang der 90er Jahre war der „Neustart“ Schwedens als Wirtschaftsnation. Zehn Jahre später müssen wir uns natürlich fragen, ob wir damit Erfolg hatten – oder nicht.
Meine Antwort ist: Teilweise ja – und teilweise nein.
Die Konsolidierung des Staatshaushaltes ist uns gelungen. Mit der heutigen etwas schwächeren wirtschaftlichen Entwicklung sehen wir zwar wieder einige Tendenzen der ökonomischen Abschwächung, aber im Vergleich mit andere europäischen Ländern ist unsere Lage trotzdem noch ganz gut.
Wir haben darüber hinaus weitere strukturelle Reformen von großer Bedeutung durchgeführt. Vergessen wir nicht, dass Schweden seit 1995 Vollmitglied der Europäischen Union ist. Wir haben jetzt eine unabhängige Zentralbank, ein System mit einer Begrenzung der öffentlichen Ausgaben und ein viel besseres Entscheidungsverfahren für Haushaltsfragen im Reichstag. Am Arbeitsmarkt wurden ebenfalls wichtige Reformen für ein flexibleres System bei den Lohnverhandlungen beschlossen.
Von erheblicher Bedeutung war die Vereinbarung zwischen den Regierungsparteien und den Sozialdemokraten über eine grundlegende Reform des Rentensystems. Als meine Regierung antrat, haben wir dies zu einer der dringlichsten Aufgaben gemacht – und es ist uns auch gelungen, einen guten Kompromiss zu erreichen. Im Vergleich zu den meisten anderen Ländern Europas haben wir jetzt ein Rentensystem, das auch für die nächsten Generationen stabil ist.
Und auch einige von den damals beschlossenen Maßnahmen für mehr Flexibilität und Wettbewerb bei öffentlichen Leistungen – vor allem auch bei den so genannten „Freischulen“ und bei der Kinderfürsorge – funktionieren noch und werden sogar ausgebaut.
Alles dies ist von großer Bedeutung. Wir haben das „Modell Schweden“ in einigen Bereiche radikal reformiert. Aber in anderen Bereichen haben wir noch nicht genug getan.
Wir haben noch immer die höchste Steuerbelastung weltweit. Für größere Unternehmer sind die Steuern oft mit denen in anderen Ländern der EU vergleichbar, aber für den Mittelstand, und vor allem für Kapital und Arbeit – beide! – sind unsere Steuern viel höher, als das langfristig mit einer guten Wettbewerbsfähigkeit zu vereinbaren ist.
Steuern kann man nicht senken, ohne auch die Ausgaben zu senken – auch hier gibt es noch viel zu tun. Seit drei Jahren haben wir einen starken Anstieg der Ausgaben für verschiedene Formen der Krankenversicherung. Blickt man nur auf der Statistik, so scheint es wie eine neue Pest, die über unser Land gekommen ist, aber auf der Straße und in den Krankenhäusern sieht man überhaupt nichts davon. Es handelt sich hier um ein Problem – ein großes Problem! – das vor allem auf die Konstruktion dieser Systeme zurückgeht. Das zeigt ganz deutlich den großen Bedarf weiterer Maßnahmen im gesamten Bereich der Sozialversicherungen.
Schweden war eigentlich nie ein Modell – und es ist auch heute kein Modell. Wir haben unsere eigenen Erfahrung gemacht, und wir haben versucht, von anderen Ländern zu lernen. Die Diskussion um die Notwendigkeit weiterer und noch radikalerer Reformen bleibt in Schweden auf der Tagesordnung. Ich gehöre zu denen, die einen Bedarf für weitere Schritte sehen.
Lassen Sie mich mit einem Blick auf die Zukunft abschließen.
Im nächsten Jahr hoffen wir, dass eine Volksbefragung endlich auch den Weg freimacht für den Beitritt Schwedens zur Europäischen Währungsunion – und damit zur gemeinsamen Währung.
Schweden wird daraus viele Vorteile ziehen können. Dieser Schritt wird aber auch die Notwendigkeit noch einmal unterstreichen, das Land für den europäischen – und darüber hinaus den globalen – Wettbewerb fit zu machen.
Wenn ich die Diskussion richtig verfolgt habe, dreht sich auch die Debatte in Deutschland seit geraumer Zeit um die Frage, wie das Land wieder den Weg zu mehr wirtschaftlicher Dynamik finden kann. An dieser Frage haben aber auch alle anderen Staaten Europas großes Interesse. Denn Europa wird nur dann auf Erfolgskurs bleiben, wenn auch Deutschland, das wirtschaftlich stärkste Land im europäischen Geleitzug, Erfolg haben wird.
Ich würde mich freuen, wenn ich mit meinen Ausführungen zu den schwedischen Reformerfahrungen auch ein klein wenig dazu beigetragen hätte.
Vielen Dank.
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Bildt Blog Comments
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